Über die bei allen Gruppen ähnliche äußere
Erscheinung hinaus, die die Sympathie für die Swing-Bewegung für
alle auf der Straße sichtbar machte, gab es verschiedene Clubabzeichen,
die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe offenbarte. Von diesen
Clubabzeichen erwähnt der Bericht die farbigen Frackhemdknöpfe
(sogenannte englische Kragenknöpfe), die sowohl unter als auch über
dem Revers angesteckt wurden. Daneben existierten jedoch noch zahlreiche
andere wie zum Beispiel beim Frankfurter Harlem-Club ein auf der Spitze
stehendes Viereck aus weißem Metall, das blau umrandet war und die
Aufschrift Harlem trug, oder ein bearbeitetes Ein-Pfennig-Stück bei
verschiedenen Gruppen in den Hamburger Stadtteilen Wilhelmsburg und Eimsbüttel
...
Musik und Tanz :
Nicht nur in der Mode eiferten die Swings dem englischen und amerikanischen
Ideal nach. Sie liebten natürlich auch die englische und amerikanische
Swingmusik und den Swingtanz.
Für das Stilmittel der Musik war das Sammeln der neuesten Swingplatten
eine Grundvoraussetzung für einen richtigen Swing. Um einen Grammophonbesitzer
scharrten sich ganze Cliquen. Geschwärmt wurde vor allem für
Jazzmusiker wie Teddy Stauffer, Nat Gonella und Louis Armstrong. In Berlin
beispielsweise war der Besitz der Schellackplatte mit Armstrongs "Tiger
Rag" und dem "St. Louis Blues" in bestimmten Gruppen obligatorisch.
Hören Sie:
Super Tiger Rag
Doch die Swings begnügten sich nicht allein mit dem passiven
Hören der Swingmusik auf Schallplatte, im ausländischen Rundfunk
oder auf Live-Konzerten, sondern sie gründeten teilweise auch aktiv
eigene Amateurkapellen. Während der Kriegszeit, als der Kauf
von Jazz- und Swingplatten in den Schallplattenläden immer schwieriger
wurde, schnitten sie Swingmusik von ausländischen Sendern wie BBC
mit und preßten sie auf Tonfolien, die dann illegal an den Schulen
gehandelt wurden.
Ebenso wichtig wie die Musik war aber auch der Swingtanz, bei dem
sich die Jugendlichen austobten und ihre Individualität entfalten
konnten. Ungebundene, spontane Bewegungen, phantasievolle Figuren und körperliche
Verausgabung kennzeichneten ihr Tanzen. In dem Protokoll des HJ-Streifendienstes
vom 8.2.1940 wird ein Tanzabend der "Hamburger Swing-Jugend" folgendermaßen
geschildert:
"Der Anblick der etwa 300 tanzenden Personen war verheerend. Kein
Paar tanzte so, daß man das Tanzen noch als einigermaßen normal
bezeichnen konnte. Es wurde in übelster und vollendetster Form geswingt.
Teilweise tanzten zwei Jünglinge mit einem Mädel, teilweise bildeten
mehrere Paare einen Kreis, wobei man sich einhakte und in dieser
Weise dann weiter gehüpft wurde. Viele Paare hüpften so, indem
sie sich an den Händen anfaßten und dann in gebückter Stellung,
den Oberkörper schlaff nach unten hängend, die langen Haare wild
im Gesicht, halb in den Knien mit den Beinen herumschleuderten. Bei manchen
konnte man ernsthaft an deren Geisteszustand zweifeln, derartige Szenen
spielten sich auf der Swingfläche ab. In Hysterie geratene Neger bei
Kriegstänzen sind mit dem zu vergleichen, was sich dort abspielte
(...) Alles sprang wild umher und lallte den englischen Refrain mit. Die
Kapelle spielt immer wildere Sachen. Kein Mitglied der Kapelle saß
mehr, sondern jeder 'hottete' wie wild auf dem Podium herum. Häufig
sah man, daß Jungens zusammen tanzten, durchwegs mit zwei Zigaretten
im Mund, in jedem Mundwinkel eine."
Diese Art des Tanzen wirkte auf die Nationalsozialisten, wie die
Worte des HJ-Angehörigen verdeutlichen, abschreckend, da sie als Ausdruck
von Geisteskrankheit und Primitivität ( "hysterische Neger") angesehen
wurde. Die Lebensfreude und Ausgelassenheit, die durch das Swingtanzen
ausgedrückt wurde, widersprach der nationalsozialistischen Vorstellung,
die einen dem gefolgsamen Volk entsprechenden disziplinierten Tanzschritt
und in ihrer prüden Moral die Vermeidung jeglicher sexueller Anspielungen
propagierte. Die strenge Einteilung der Geschlechterrollen, die von den
Nationalsozialisten befürwortet wurde, lockerten die Swings, indem
sie sich beim Tanzen von den Konventionen trennten und, wie der Bericht
beispielsweise angibt, auch Jungen mit Jungen tanzten. Natürlich war
ein derartiges Verhalten stark provokativ. Gerade gegen die Tanzveranstaltungen
wurde daher von nationalsozialistischer Seite massiv vorgegangen.
Beim Tanzen entwickelten die Swings neben dem beschriebenen Bruch
der Konventionen auch eigene Zeichen. Eine bekannte Tanzfigur war zum Beispiel
das Mitswingen des Taktes bei träge emporgereckter, müde wirkender
Hand und ausgestrecktem Zeigefinger oder gespreiztem Zeige- und Mittelfinger
(Churchills Victory-Zeichen), die als "Zerrbild der straffen Unterwerfungsgeste"
den deutschen Gruß ins Gegenteil verkehrte und eine gefährliche
Provokation darstellte, da ein Verunglimpfen hoher Persönlichkeiten
schwer bestraft wurde.
Diese Figur war sogar den Nationalsozialisten bekannt wie eine Karikatur
in den Hamburger Gaunachrichten aus dem Jahre 1941 zeigt, wo ein Swing
in eben dieser Haltung abgebildet ist.
Daß dieser Tanz bei Nationalsozialisten ebenso wie im Ausland
bereits als politisches Bekenntnis zur Demokratie gewertet wurde, verdeutlicht
ein Artikel in der Zeitschrift " SA-Mann" aus dem Jahre 1938:
"Eine ausländische Judenzeitung hat im Jahre 1937 anläßlich
einer 'Betrachtung' über den Reichsparteitag mit zynischer Offenheit
zugegeben: 'Wenn man die Aufmärsche in Nürnberg sieht, dann kommt
man zu der Überzeugung, daß Deutschland für die Demokratie
endgültig verloren ist. Aber ein Trost ist noch da: die deutsche Jugend
tanzt nach wie vor Jazz; vielleicht kann auf dem Umweg über den Jazz
der Demokratie doch wieder ein Eingangstor nach Deutschland geöffnet
werden.' Wir lehnen eine 'getanzte Weltanschauung' ab. Was uns nach diesen
Jahren noch nicht geglückt ist und uns daher als Aufgabe bevorsteht
ist eben: Die Revolution des Privatlebens."
Eine Aufgabe, die der Nationalsozialismus nicht bewältigen
sollte. Das Swing-Phänomen und mit ihm das Swingtanzen, wenn auch
heimlich in privaten Räumlichkeiten, in Bunkern oder im Freien, hielt
sich nicht nur bis zum Kriegsende, sondern erlebte danach noch einmal einen
großen Boom.
Der Jargon :
Die als "Swing-Heinis", "Hotter", "Swing-Papen", "Stenze" und "Tango-Bubis"
oder "Tango-Jünglinge" beschimpften oder neutraler im Amtsdeutsch
zum Teil als "Swing-Jugend" bezeichneten Swings hatten zwar untereinander
keine feste Selbstbezeichnung, aber doch wohl eine eigene Ausdrucksweise,
die auch zu den spezifischen Stilmitteln dieser Gruppe gehörte.
Das wird zum Beispiel an der oben aufgeführten Namensgebung der Clubs
deutlich, die zumeist an anglophile Vorbilder angeknüpft war. Teilweise
wurden dabei politische Bezüge hergestellt wie bei dem Hamburger "Churchill-Club",
den "Anthony-Swingers", die auf den englischen Außenminister Anthony
Eden anspielten, oder dem Kieler "Club der Plutokraten", der auf die antiamerikanische
Propaganda vom plutokratischen Amerika reagierte. Ob jedoch hinter dieser
Namengebung konkrete politische Absichten steckten, mag im Hinblick auf
die noch näher zu beschreibende durchweg unpolitische Haltung
der meisten Swings bezweifelt werden. Wahrscheinlich wurden die Namen hauptsächlich
aufgrund ihrer provokativen Wirkung ausgewählt.
Neben den meist englischen Clubnamen redeten sich die Jugendlichen
auch untereinander mit englischen Vornamen an. Aus Frank wurde Fränk
und aus Walter Bobby, Billy oder Teddy . Es gab einen "Eton-Jackie", "Tommy",
"Lord", "Fiddlin` Joe", "Hot-Geyer", "Old Kluge", "Hot King", "Hot Ibsen",
"Roy" und "Fats". Die Mädchen hießen nicht Fräulein
Schneider oder Fräulein Meier, sondern Blackie, Teddy, Micky oder
Coca. Abgesehen davon, daß aufgrund der Spitznamen die einzelnen
Mitglieder von den NS-Kontrollorganen nicht so leicht erkannt werden konnten,
empfanden viele diese neuen Namen auch als besser zur ihrer Lebensart passend.
Auf der Straße redete man sich mit "Hallo Big", "Old-hot-Boy" (auch
"Hot-old-Boy") oder "Swing-Boy", die Mädchen mit "Swing-Girl", "Jazzkatze",
"Swing-Puppe" oder "Swing-Baby" an, oder man grüßte sich mit
"Swing high - Swing low", "Badideldadu" und "Swing Heil" und "Heil Hotler"
statt "Heil Hitler". Bisweilen wurden auf der Straße zur Begrüßung
auch die Anfangstakte einer bekannten Swingmelodie gepfiffen, zum Beispiel
in Frankfurt am Main das "Harlem"-Motiv oder in Hannover "Goody Goody".
Hören Sie:
Goody-Goody
Natürlich wurde nach Möglichkeit und Können auch ansonsten
das Anglophile in Form von englischer Konversation ob auf der Straße,
im Café, in Lokalen oder bei den Swing-Partys gepflegt. Briefe wurden
nicht selten mit "Swing Heil" unterzeichnet oder mit "V" für Victory
unterschrieben. Diese anglophile Ausdrucksweise der Swings, die in
gewisser Hinsicht an großstädtische, weltläufige Traditionen
aus der Weimarer Republik anknüpfte, obwohl dieses von den Jugendlichen
nicht bewußt so empfunden wurde, war für die Nationalsozialisten
ebenso wie die Mode, die Musik und der Tanz der Swings eine Provokation,
denn für sie galt es, die deutschen Werte und damit auch die Sprache
vor dem verderblichen ausländischen Einfluß zu bewahren.
Neben den englischen Begriffen verwendeten die Swings auch verschiedene
Schlagworte (teilweise eigene Schöpfung oder Entlehnung), mit denen
sie ihre Lebensweise charakterisierten. Solche beliebten Schlagworte der
Swings waren zum Beispiel "Hotten" ("Hotfest", "Hotter", "Hotte"), was
sich, abgeleitet von dem Begriff Hot-Musik für Jazz, auf das Umfeld
des Swingtanzens bezog sowie "Lässigkeit" und "Lottern". Lottern
war dem Wort "Lotter" entlehnt, welches "Herumtreiber" oder "Faulenzer"
bedeutete, "wobei die Herumtreiberei in den Nächten der Großstadt
zu geschehen" hatte. Der RJF-Bericht über "Cliquen- und Bandenbildung
unter Jugendlichen" geht auf die Verwendung dieses Wortes insbesondere
ein:
"Das Schlagwort ist 'lottern'. Nach ihm ist der 'Lotterclub' benannt.
Häufig findet man in den Tagebüchern der 'Lotterboys' und der
'Lottermädchen" den Satz: 'Nachmittags habe ich 'gelottert''. (...)
In einem Tagebuch hieß es: 'So lotterten wir beim lässigen Bar-Swing
bis in den frühen Morgen hinein'."
Über weitere sprachliche Eigenheiten der Swings ist wenig bekannt.
Wahrscheinlich waren sie abgesehen von den aufgezeigten Anlehnung an die
englische Sprache regional stark verschieden und von der jeweiligen Schicht
geprägt. Der ehemalige Hamburger Swing Uwe Storjohann berichtet
sogar davon, daß es in seinem Freundeskreis als "schick" und "mutig"
galt, jüdischen Jargon zu pflegen, obwohl die Jugendlichen seiner
Gruppe den Kontakt mit wirklichen Juden gemieden hätten. Wörter
wie "begannern", "meschugge" und "nebbisch" zählten beispielsweise
dazu, ebenso wie man möglichst lautstark verkündete: "Keiner
jazzt so koscher wie Benny Goodman." Da offenbar mit der Verwendung
dieser Begriffe kein Sympathiebekundung für die Belange der Juden
verbunden war, wird die Aufnahme der jüdischen Begriffe in den Wortschatz
dieser Swings vermutlich hauptsächlich an ihrer starken provokativen
Wirkung gelegen haben.
Zusammenfassend verdeutlicht der in diesem Abschnitt beschriebene
Stil, wie sich die Swings in einer provozierenden Weise von nationalsozialistischen
Vorgaben abgrenzten Eine Abgrenzung, die sich auch in den im folgenden
beschrieben Lebenseinstellungen und Verhaltensformen widerspiegelt.
Lebenseinstellung und Verhaltensformen
:
Das "Swing-sein" als angestrebte "Lebensform" bedeutete für
die Jugendlichen vor allem ein lässiges und freies Lebensgefühl
zu vertreten, sich individuell auszudrücken und, wie bereits beschrieben,
chic und modern im Sinne der amerikanischen Mode zu sein. Selbst
die Körperhaltung der Swings, die lässige Überlegenheit
und Langeweile gegenüber der Umwelt ausdrücken sollte, entsprach
dieser Lebenseinstellung. Mit kleinen swingenden Schritten und leicht vornübergebeugtem
Körper betonten sie ihre antimilitärische Haltung. In der Denkschrift
der Reichsjugendführung vom September 1942 wird der Ursprung für
die Erhebung des "Lotterlebens" zur Lieblingsbeschäftigung und Lebensideal
der Swings auf den Einfluß amerikanischer Filme zurückgeführt,
weil die dort "gezeigte Lässigkeit in Haltung und Lebensführung
" so gefiel , "daß sich die Jugendlichen nach eigenen Angaben bewußt
bemühten, einen verlotterten Eindruck zu machen". So schrieb
ein Kieler "Swing-Boy" an seinen verreisten Freund:
"Daß du mir Kiel auch würdig vertrittst, also ganz lässig,
ewig englische Schlager singend und pfeifend, total besoffen und immer
umwiegt von den tollsten Frauen",
wodurch er die Lebenseinstellung der Swing-Jugendlichen recht treffend
kennzeichnete.
Während sich die Jungen bemühten, den "nonchalanten Mann
von Welt" nach dem Vorbild der englischen und amerikanischen Filme zu spielen,
gaben sich die Mädchen möglichst damenhaft und mondän. Wie
auch der zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Bericht der RJF beschreibt,
bevorzugten die Swings, um dieses weltgewandtes Ideal zu erreichen, das
ihnen "vornehm erscheinende Leben" zwischen Bars und Tanzcafés,
zu dem auch die Musik, der Alkohol und der Sex gehörten.
Die nationalsozialistische Erziehung, die ihren Schwerpunkt nicht
auf eine politische und gesellschaftliche Willensbildung, sondern auf eine
Dressur zur Systemanpassung legte, hatte eine umfassende politische Bildung
der Heranwachsenden zu verhindern versucht und zu einer "politisch-gesellschaftlichen
Entmündigung der Jugend" geführt, so daß diese nur wenig
über andere politische Systeme im Ausland wußten. Da die
Swings von der amerikanischen Musik und Kultur, die ihnen in der Hauptsache
nur durch die Filme zugänglich war, begeistert wurden, versuchten
sie sich auch in politischen Hinsicht an den ihnen zugänglichen, meist
jedoch nur vagen Vorstellungen von anglophilen, internationalistischen
und plutokratischen Werten zu orientieren. Kurz beschreibt die Vorstellung
der Swings von Amerika dabei als eine Art "Swinging Democracy". Die
in den Filmen repräsentierte Lebenswelt, die Amerika als das Land
des Fortschritts, des Konsums, der persönlichen Freiheit und der Demokratie
zeigte, wurde nämlich bei ihnen mit der Swingmusik immer in eine enge
Verbindung gebracht.
Ihre amerikafreundliche Orientierung hatte nicht selten zur Folge,
daß die Swings auf der anderen Seite viele nationalsozialitische
Normen ablehnten. Beispielsweise zeigte sich dieses im Bereich der Rassenfrage,
da vielerorts die Swings weiterhin mit Juden und "Halbjuden" in Kontakt
standen und teilweise sogar intime Beziehungen aufrechterhielten oder eingingen.
Kurz hebt dieses Verhalten positiv hervor:
"Eine erstaunliche Haltung in einer Zeit, in der bei vielen anderen
Deutschen Vorstellungen und Vorurteile über Juden geprägt wurden,
die sie bis in unsere Gegenwart hinein nicht aufgegeben haben".
Die angeblich "liberalistische" Einstellung, die auch der Bericht
durch die Bezeichnung der Swings als "liberalistisch-individualistische
Clique" hervorhebt, wurde von den Nationalsozialisten besonders stark gewichtet,
da sie die falsche Weltanschauung repräsentierte, und dadurch die
Swings als "politische Gegner" eingestuft wurden.
Die swingbegeisterten Jugendlichen waren jedoch nicht wirklich am
politischen Handeln interessiert, obwohl sie die westlichen Demokratien,
allen voran Amerika und England, bewunderten, die für sie das
"Paradies der Freiheit" darstellten. Viele nahmen sich vor, nach Kriegsende
dorthin auszuwandern. Doch bis dahin versuchten sie so lange wie möglich,
den Krieg als nicht existent zu betrachten. Gesprächsthemen drehten
sich nicht um politische Vorfälle, sondern um Mädchen, Swing
und Tanzen. Die Jugendlichen waren den NS-Phrasen gegenüber
gleichgültig eingestellt, sie wollten einfach nur in Ruhe gelassen
werden und ihr ( angesichts des Krieges womöglich kurzes) Leben
genießen. Die HJ, den Wehr- und Arbeitsdienst lehnten sie als Einschränkung
der persönlichen Freiheit ab. So weit es möglich war, drückten
sie sich daher um diese Dienste, was eine Form oppositionellen Verhaltens
darstellt, auf die später noch näher eingegangen wird.
Ihre Lebenslust brachten die Swings unter anderem auch im sexuellen
Bereich zum Ausdruck. Der zitierte Bericht der RJF geht bereits darauf
ein, und auch in der Denkschrift der Reichsjugendführung vom September
1942 wird die "sittlich-charakterliche Verwahrlosung" der "Haupträdelsführer"
ähnlich beschrieben:
"Zumeist spielten persönliche Neigungen zueinander weniger
eine Rolle als vielmehr die bewußte Wahl eines Partners für
den Geschlechtsverkehr. Die Mädel wechselten in unserem Kreise, wobei
derjenige oder diejenige den Vorzug hatte, der eine sturmfreie Bude zur
Verfügung stand (...) Zu unsittlichen Handlungen ist es vorwiegend
bei den Hausfesten aber auch üblichen Lokalbesuchen, Ausflügen
und bei Luftschutznachtwachen gekommen ..."
Gerade der Bereich der Sexualität wurde von den Kontrollbehörden
mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Es gibt hierzu zahlreiche Zitate
aus Protokollen, Briefen und Tagebüchern in den Akten. Nach Ansicht
Detlef Peukerts sind in den NS-Berichten geschilderte "sexuelle Ausschweifungen"wie
Promiskuität, Gruppensex, Geschlechtsverkehr meist Minderjähriger,
angebliche Fälle von "Rassenschande", aber auch schon der unbefangene
und lebensbejahende Umgang mit der Sexualität zu einem großen
Teil "Projektionen eigener Ängste und verdrängter Wünsche"
von seiten der Nationalsozialisten, die zu wörtlich nahmen, "was vielleicht
nur Prahlerei war" und einzelne `Vorkommnisse` verallgemeinerten.
Vermutlich gestalteten die Swings ihr sexuelles Leben, das von den Nationalsozialisten
als verfehlt und entartet beschrieben wird, lediglich ein wenig unbefangener,
als es die prüden NS-Normen mit ihrer lustfeindlichen, auf die reine
Fortpflanzung reduzierten Vorstellung von Sexualität vorsahen. Dieser
freiere Umgang mit der Sexualität läßt die Swings sogar
als frühe Vorläufer der sexuellen Revolution der Mittelschicht-Jugend
der 60er Jahre erscheinen.
Um dem Einheitsdrill der HJ wenigstens für kurze Zeit zu entkommen,
schuf sich die "Swing-Jugend" in ihrer Freizeit ein eigenes kulturelles
Gegenstück zum nationalsozialistischen Zwang des Alltags. In der Freizeit
wollten die Jugendliche ihre Individualität, ihre Spontaneität
und ihre Lebenslust ausleben. Neben den bereits angesprochenen Bars und
Tanzcafés trafen sich die Jugendlichen auch in Badeanstalten,
Kinos und Eisdielen, im Stadtpark oder zu Ausflügen, beständig
begleitet von ihrem Koffergrammophon und einem Satz englischer und amerikanischer
Swingplatten. Bei den abendlichen Live-Konzerten in Bars, Cafés
und Konzerthäusern scheuten sich die Swings nicht, gegen die "Polizeiverordnung
zum Schutz der Jugend" von 1940 zu verstoßen, die Personen unter
18 Jahren verbot, sich nach Einbruch der Dunkelheit "herumzutreiben". Sie
fälschten mitunter sogar die Ausweise, indem sie das Alter änderten.
Durch ihre Kleidung wirkten die Swing-Jugendlichen zudem erwachsener und
fielen im Gegensatz zu den Hitlerjungen mit ihrer kniefreien Kluft nicht
so schnell als Minderjährige auf.
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die auch in dem RJF-Bericht
angesprochenen selbstorganisierten Swingparties. Als in Hamburg im Februar
1940 das erste dieser Feste stattfand, an dem 500-600 Jugendliche teilnahmen,
war es "wochenlang Gesprächsstoff unter der Hamburger Jugend". Da
die Polizei gegen derartige halboffizielle Feste bald gewaltsam vorging,
verzichteten die Swings weitgehend auf die Organisation großer Veranstaltungen
und trafen sich in kleineren Gruppen von höchstens 20-30 Personen.
Swingparties wurden dann als Hausfeste in der elterlichen Wohnung gefeiert,
teilweise sogar während der Luftschutzwache.
Die beschriebenen Lebenseinstellung und Verhaltensformen der Swings
widersprachen der nationalsozialistischen Vorstellung von einer Jugend
"Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl", die
sich bedingungslos einem Führer zu unterwerfen hatte. Die Amerikanisierung,
die sich in den Stilmitteln und Zielvorstellungen der Swings ausdrückte,
und die Schaffung einer an freier Lebensgestaltung und Lebenslust orientierten,
kulturellen Gegenwelt, die sich von nationalsozialistischen Werten und
Normen abkehrte, wurde von den Nationalsozialisten als "staatsgefährdende
Bedrohung" aufgefaßt. Während sie durch ihre sexuelle Unbefangenheit
die Nationalsozialisten in moralischer Hinsicht provozierten, wirkte ihre
Bewunderung der Kriegsgegner England und Amerika, die sich auch in ihrer
verbalen Ausdrucksweise widerspiegelte, (sowie ihre Ablehnung des HJ-,
des Arbeits- und des Wehrdienstes aber auch des gesamten Kriegsgeschehens)
in politischer Hinsicht provokativ.
Im Zuge der zunehmenden nationalsozialistischen Repressionen entwickelten
diese Jugendlichen eine Reihe von weiteren Verhaltensformen, die vornehmlich
widerständigen Charakter hatten und über die bereits erwähnten
provokativen Elemente der Bewegung hinausreichten.
Überlieferte Spottverse
und Liedtexte der Swings :
Spottlied, das nach der Melodie "Hofkonzert im Hinterhaus"( im Original
das amerikanische Jazzstück "Organ Grinder's Swing") gesungen wurde:
"Kurze Haare, große Ohren,
So war die HJ geboren!
Lange Haare, Tangoschritt -
Da kommt die HJ nicht mit! Oho,oho!
Und man hört's an jeder Eck' -
Die HJ muß wieder weg!"
Folgender Text wurde auf einem Flugblatt in Schulen in Winterhude
verteilt:
"Der Boy, das Girl, sie lieben Hot
Und meiden die Meute stupider HJ.
Geh'n sie spazieren auf leisestem Krepp,
Erglänzt sie am Bein, er am Jackett.
Marschiert voran, Hot, Jazz und Swing.
Come on boy and girl, wir gehen zum Ding.
Zum Fest der Gerechtigkeit komm und spring.
Und tritt General HJ einst gegen uns an
Dann werden wir hotten Mann für Mann.
Der eine am Baß, der andre am Kamm.
Noch sind wir nicht viele genug.
Doch einst wird es wahr, was bisher nur Spuk.
Wir werden siegen, da gibt's keinen Muck!"
Ein weiterer kleiner Vers:
"Swingend wollen wir marschieren in die Zwangs-HJ
Teddy Stauffer soll uns führen mit dem neuesten Hot !"
Auf die Melodie des Swing-Stückes "Oh Joseph, Joseph" gesungener
Text, bezogen auf das Hamburger Durchgangs-KZ Fuhlsbüttel, das unter
dem Namen "Florida" bekannt war:
"Und Sonntag war'n wir in der Bauernschänke
bei einem fröhlichen Zusammensein.
Der Ober brachte verschiedene Getränke,
doch keines war vom guten alten Wein.
Er hat vielleicht mal neben Wein gelegen
und etwas Färbung abgekriegt.
Doch alle sind sie da, bis auf die in Florida.
Oh Joseph, Joseph, Steine klopfen, das ist wunderbar."
Auf die Melodie "Panama" wurde der folgende Text über Bergedorf,
eine der vier Hamburger Jugendarrestanstalten, gesungen:
"Bergedorf ist kein Zuchthaus, kein Sing-Sing,
Bergedorf ist die Festung für den Swing.
Bergedorf ist der Nazi stiller Ort,
wo sie hinbringen die Kulturträger für den altenglischen
Hot."
Ein Spottgedicht auf den von der Hamburger Jugend gefürchteten
"Langen Paul", ein Schläger der SS-Wachmannschaft und den "Fuchs",
der im Gestapo-Hauptquartier die Verhöre leitete, in der Ausübung
ihrer "Tätigkeit" beschrieben:
"Erst bricht der Lange Paul dir alle Knochen,
dann kommst du beim Fuchs auf allen Vieren angekrochen
der macht aus dir Frikassee
aus deinem Schwanz Haschee
da pfeift dir aus dem Hinterteil
der allerletzte Furz: Swing Heil!"
Auch Goebbels betrafen mehrere ihrer Aktionen. So wird er in einem
Spottvers für die Repressionen gegen die Swingmusik verantwortlich
gemacht:
"Der kleine Josef hat gesagt, ich darf nicht singen,
denn meine Band, die spielt ihm viel zu hot.
Ich darf jetzt nur noch Bauernwalzer bringen,
nach dem bekannten Wiener Walzertrott."
Spottvers:
"Wir tanzen Swing bei Meier Barmbeck.
Es ist verboten. Wir hotten nach Noten.
Und kommt die Polizei, dann tanzen wir Tango.
Und ist sie wieder weg, dann swingen wir den Tiger Rag."
Frei nach dem "Lambeth Walk", welcher Churchills Lieblingslied war
und daher an oberster Stelle auf dem Index der verbotenen Lieder stand:
"Kennen Sie Lamberts Nachtlokal?
Nackte Weiber kolossal
Eine Mark und zehn, liegen oder stehn!"
Und noch einmal zu "Joseph, Joseph" gesungen:
"Wir sind nicht Juden, sind nicht Plutokraten,
doch die Nazis müssen trotzdem weg.
Aus uns da macht man keine Soldaten,
denn unsere Hymne ist der Tiger Rag."
Hören Sie:
Lamberts Nachtlokal (Lambeth
Walk)
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Hören Sie:
Joseph, Joseph
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