Der Lindy Hop
Im Jahre 1927 entscheidet sich ein talentierter Tänzer namens
"Shorty" Snowden, die Paartanzhaltung zu lösen und einige improvisierte
Solo-Schritte in seinen
Tanz einzubauen. Eine revolutionäre Erfindung für die damalige
Tanzwelt und deren ethische Begriffe. Er nennt seine Art zu tanzen ´Break-away´.
Im gleichen Jahr überquert Charles Lindbergh allein in seinem Flugzeug
Spirit of St.Louis den Atlantik und die Schlagzeilen der Zeitungen verkünden
"Lindy Hops Over The Atlantic!". -Und so versteht man auch Shorty's zeitgemäße
Äußerung, als er bei einem Marathon-Turnier im Manhattan Casino
von Reportern nach der Art seines Tanzstils befragt wird: "I'm doing
the Lindy Hop". Der Lindy Hop ist also eine Erweiterung des Break-away
mit der Loslösung aus der geschlossenen Tanzhaltung und der Einführung
improvisierter Schritte.
Der unmittelbare Einfluß auf die Entwicklung des Lindy Hop
variiert je nach Quelle.
Nach Frank Manning spielen drei Tänze dabei eine wesentliche
Rolle: der Charleston, der Colligate und der Break-away; alle drei beliebte
Gesellschaftstänze in Harlem während der 20er-Jahre.
Direkte Vorfahren des Lindy Hop (nach Frank Manning):
(alle drei haben einen Grundschritt auf 8 Zählzeiten)
Colligate
- Partner in geschlossener Tanzhaltung (ballroom hold)
- enge Beziehung zueinander
- kein Loslösen vom Partner
Break-away
- geschlossene Tanzhaltung wird beibehalten
- aber: Schritte (7,8) rückwärts getanzt, wodurch ein
- Abstand zwischen den Partnern entsteht
(Vorbereitung auf individuelle, inprovisierte Schritte)
Lindy Hop
- Partner in offener Tanzhaltung (drop hands)
- mit 1 oder 2 Händen geführt
- räumliche Trennung bei Breaks oder Swingout erlauben
- improvisierte Schritte/Bewegungen
"Mit dem Auf und Ab ihrer Arme begleiteten die Tänzer die
Wogen des Rhythmus. In einer ständigen Ziehharmonikabewegung antworten
sie auf die Ideen ihres Partners." Kleine, schnelle Schritte, weiche
Knie, Schwung in den Hüften und der throw-away, bei dem der Partner
kurzerhand aus der Paarverbindung fliegt, sind besondere äußere
Kennzeichen des Lindy Hop.
Jitterbug, der weiße Lindy Hop
In den Augen der Weißen glichen die (meißt farbigen)
Tänzer mit ihren schwingenden Armen und Beinen, Schritten und Sprüngen
aufgeregten Insekten (Wanzen/Käfer). Und so belegte man diesen Tanzstil
offiziell mit dem Namen Jitterbug. Dieses 'weiße' Wort für Lindy
Hop bedeutet im amerikanischen Slang soviel wie Zappelphilipp oder auch
Nervenbündel. (jittery = nervös,aufgeregt; bug = Insekt, Defekt,
Fehler; buggy = verrückt). Mit diesen Prädikaten klassifiziert
man von nun an die ´Swingenthusiasten´, der Tanz jedoch ist
Lindy Hop.
"Paradoxerweise bildeten die wichtigsten Anhänger der Jazz-Musik
jener Zeit einen Teil der Öffentlichkeit, den die Kritiker normalerweise
beschimpften - die jungen 'Jitterbugs', die die formalen Tanzregeln ihrer
Eltern vergaßen und extrovertiert und ausgelassen auf die Musik eingingen.
In der Tat war das richtige 'Jitterbugging' eine Kunstform, die Gefühl
für Rhythmus und eine große Portion Disziplin erforderte, um
die Tanzschritte zwischen den Partnern koordinieren zu können."
[´Swing-Fieber´ in: J.GODBOLT, Die Welt des Jazz, 1993]
In den 30er Jahren tragen Rundfunk und nicht zuletzt Benny Goodmans
Tournee quer durch die USA dazu bei, daß der Jitterbug über
Harlem (New York) hinaus auch bei einem größerem weißen
Publikum bekannt wird.
Eines der bedeutendsten Konzerte fand am 21. August 1935 im Palomar
Ballroom in Los Angeles statt, ein weiteres 1936 im Paramount Theater in
New York. Das ist der Durchbruch des Swing. Mitte der 30er-Jahre bringt
Dean Collins den Swing-Tanz von der Ostküste zur Westküste der
Vereinigten Staaten. Zum Eastcost-Swing kommen Einflüsse aus den dort
beliebten Gesellschaftstänzen und führen zum Westcoast-Swing.
Swing-Musik ist die Rockmusik jener Tage und Swing-Musiker sind bei Öffentlichkeit
eben so angesehen wie Rockmusiker heutzutage. Big Bands sind 'Big Business'.
Sie leben in erster Linie von Engagements bei Tanzveranstaltungen. Und
ohne den Tanz als Anlaß und Vermittler wäre der Big Band-Swing
nie so populär geworden. Aber auch der Musikstil beeinflußt
den Tanz, indem er ihn glatter und fließender macht.
Der Lindy Hop wird zum Showtanz
Immer noch herrscht Rassentrennung in den Vereinigten Staaten. Wenn
sich auch die Musikstile gegenseitig beeinflussen, bleiben gravierende
Unterschiede zwischen schwarzer und weißer Musik. Schwarze Tänzer
sind ihren weißen Kollegen weit voraus. Sie bewegen sich temperamentvoller
zu der viel flexibleren und swingenderen Musik ihrer Bands, während
die weißen Orchester noch mehr dem Foxtrott und Walzer verbunden
sind.
1936Whitey's
Lindy Hoppers, eine Profitanzgruppe aus Harlem, reisen durch Amerika
und präsentieren mit dem Lindy Hop (Jitterbug) den "einzig wahren
amerikanischen Volkstanz", wie ihn das Life Magazine nennt.
1937 sind die ersten Lindy-Hop-Tanzszenen in
dem Film "Auf der Rennbahn" (Original: 'A Day At The Races') mit den Marx
Brothers zu sehen; produziert von den MGM Studios in Hollywood (Los Angeles).
1941 folgt mit "In der Hölle ist der Teufel
los" (Original: 'hellzapopping') ein weiterer Film, in dem Whitey's Lindy
Hoppers mit atemberaubender Geschwindigkeit und halsbrecherischen Akrobatikfiguren
aufwarten. Noch im gleichen Jahr löst sich diese Tanzgruppe auf. -
Die Armee braucht Soldaten.
1947 gründete Frank Manning, "Legendary
Dancer of the Savoy Ballroom", eine Lindy Hop Gruppe mit dem Namen Harlem
Congeroo Dancers.
Swingtanz in Europa
In Deutschland wird 1935 der "Niggerjazz" für Rundfunksendungen
verboten. Allerdings kommt gemäßtigte Swing-Musik als neue und
gute Tanzmusik auf den Markt. So ist Deutschland im Jahre 1936 bereits
komplett vom Swing-Fieber erfaßt. Mit wachsender Popularität
des Swing steigt aber auch die Zahl der Kritiker, denn die Swing-Kids gelten
als revolutionär und mit ihrem Ungehorsam als systemgefährdend.
Mit Kriegsbeginn 1939 versucht das NS-Regime die vor allem englische und
ab 1941 auch amerikanische Swing-Musik zu unterbinden - dennoch wurde in
Deutschland weiter "geswingt". Nach dem 2. Weltkrieg beginnt eine
neue Swing-Ära in Deutschland; amerikanische Soldaten bringen Swing-Schallplatten
mit und die "verbotenen" britischen und amerikanischen Militärsender
spielen den ganzen Tag über Swing und Boogie Woogie. Der Jitterbug
oder Lindy Hop wird 'swingender' -man tanzt nun Boogie.
In Europa, und vor allem in England, ist die traditionelle Tanzwelt
über diesen neuen Tanzstil empört. Man räumt ihm daher auch
keine Chance ein. "... es war so ziemlich das Abscheulichste, was ich je
in einen Ballsaal gesehen habe...", soll Alex Moore, ein englischer 'Tanzpapst',
angesichts einer Boogie Meisterschaft in London gesagt haben.
Auf Drängen der Jugend wird der Boogie endlich akzeptiert.
Man hat ihm die 'Flügel gestutzt' und ihn vom Jitterbug zum Jive umgeformt.
So setzt sich die gemilderte Form des Boogie auch im Ballsaal durch. Heute
hat der Jive seinen festen Platz bei internationalen Tanzturnieren.
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"Jitterbugging by unthinking spenders is one way of wasting time
and energie that's needed."
[auf dem Cover der CD: X-TAL: Mayday]
Bildquellen:
- Charles Lindbergh aus: Fliegerkalender, 1936, S. 134
- Lindy Hop Tanzpaar aus: CD-Booklet, Jazz Dance Musik
1923-1941, 1995
- White's Lindy Hopper's aus: a.a.O. |