Die Geschichte des Boogie Woogie ist ein Stück Geschichte der
Vereinigten Staaten von Amerika. Sie beginnt lange bevor die Staaten vereinigt
waren, in einer Zeit, als der Aufstieg der ´Neuen Welt´begann.
Sklaverei und der Kampf um Gleichberechtigung der
Schwarzen
Afrikaner, aus ihren Heimatland verschleppt, werden auf den Sklavenmärkten
Amerikas verkauft (seit etwa 1610). Als billige Arbeitskräfte werden
sie in erster Linie auf den Plantagen in den Südstaaten des Landes
eingesetzt. Sie plagen sich in einer Klassengesellschaft, die ´Freiheit
und Gleichheit aller Menschen´ in ihrer Unabhängigkeitserklärung
1776 proklamiert (Th. Jefferson selbst besaß sein ganzes Leben lang
Sklaven). Unter den schlimmsten Bedingungen schaffen sie sich eine eigene
Kultur und sehnen sich nach Freiheit.
Aus ihrer reichhaltigen musikalischen Tradition und dem Interpretieren
der ihnen erlaubten Musik der Weißen bildete sich im Laufe der Jahrhunderte
eine neue, eigene Stilrichtung: der Blues - der Zusammenfluß
von afrikanischer Melodik und europäischer Harmonik. [RÖGLIN]
Die meisten der 31 Millionen Amerikaner führen in diesen Jahren
ein friedliches Leben auf Farmen und in kleinen Städten. Aber über
allem liegt der Fluch der Sklaverei. Neger hatten von Anfang an keine Menschenrechte.
Zwar gibt es in den (industrialisierten) Nordstaaten seit 1775 Bestrebungen
die Sklaverei abzuschaffen, doch dauert die Durchsetzung bis zum Jahre
1804. Auch in den Südstaaten gibt es zunehmend mehr Leute, die sich
für die Befreiung der Sklaven einsetzen, gegen den Willen der Mehrheit,
die ihren Lebensstil nicht aufgeben möchte. "Schwarze besitzen
keine einklagbaren Rechte! Alle Menschen sind gleich - außer den
Negern." (1852 erscheint das Buch "Onkel Toms Hütte") 1859: ein
selbsternannter Prediger namens John Brown will die Sklaven bewaffnen.
Aber nicht die Sklaven, sondern die Bürger erheben sich - John Brown
wird gehängt. Der Song: ´John Brown's Boddy ...´ erinnert
daran. "John Brown gilt als wichtigster Einzelfaktor der Auslösung
des Bürgerkrieges, des 'civil war'. Er starb für die Befreiung
der Sklaven, ohne selbst etwas dazu beigetragen zu haben."
1860 gehört jeder 7. Amerikaner einem
anderen Amerikaner; 4 Mio. Menschen sind Sklaven. - 1862 verkündet
Abraham Lincoln die Befreiung der Schwarzen aus der Sklaverei. Die Südstaaten
sehen ihre wirtschaftlichen Interessen bedroht und treten aus der Union
aus. In den folgenden Jahren kommt es zum Bürgerkrieg zwischen Nord-
und Südstaaten. Es ist ein Krieg der Weißen! Schwarze werden
abgelehnt. ´Dixie´ - ein Minstral-Song aus der Feder eines
Nordstaatlers - wird zum Symbol der Südstaaten. Die Nordstaaten gehen
als Sieger hervor und festigen ihre industrielle Macht. Lincoln's Politik
der Versöhnung mit den Südstaaten wird durch den ´Mord
in der Präsidentenloge´ beendet.
"Seperate but equal"
Ab 1870 sind Schwarze und Weiße rechtlich und politisch gleichberechtigt,
doch nur auf dem Papier. Die Realität sieht anders aus: viele Weiße
wehren sich dagegen, der Ku Klux Klan gewinnt mehr und mehr Anhänger,
die Unterdrückung und Diskriminierung der Schwarzen erfährt einen
neuen Höhepunkt. - Die Schwarzen verlassen den Süden und ziehen
nach Norden in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. Aber auch hier
abgewiesen, müssen sie sich in die Ghettos, in die Slums der Großstädte
zurückziehen. Harlem, ein solcher isolierter Bezirk und seit 1645
Siedlung freigelassener Sklaven, verfügt zu dieser Zeit bereits über
eine intakte Infra- und Sozialstruktur (z.B. Schulen und auch Musikschulen).
Soziales und politisches Engagement ist nur in ihren eigenen Kirchen möglich.
1896 wird eine strikte Rassentrennung gesetzlich verankert 'seperate
but equal' und in der Öffentlichkeit deutlich zum Ausdruck gebracht:
in Krankenhäusern, Läden, Verkehr, Toiletten (bis 1954). So entwickelt
sich in den Ghettos eine eigene Lebensweise und Kultur, die vor allem in
der Musik des Jazz ihren Ausdruck findet. "Bis zum Ende des amerikanischen
Bürgerkrieges hatte sich eine formenreiche afro-amerikanische Musik
herausgebildet. Die dokumentierte Geschichte dieser Musik beginnt um 1870
mit dem im Mittelwesten der USA entstandenen Ragtime" [BERENDT].
Ragtime und Jazz
Der Ragtime enthält Elemente europäischer
Salonmusik (Form, Melodik, Harmonie) und die afro-amerikanischen Wurzeln
der Rhythmik. Zumeist wird Ragtime auf dem Klavier gespielt aber auch Salonbands
spielten sogenannte Rags. "Ragtime beherrschte von 1880
bis 1920 weitgehend das Feld der populären Musik Amerikas, seit 1900
auch unterstützt durch die Verbreitung des elektrischen Klaviers,
für das viele Rags in sogenannte 'Piano-Rollen' gestanzt wurden."
[BERENDT]
Die Straßenmusik der schwarzen Viertel der Städte in
den Südstaaten (vorallem in New Orleans) beeinflußt maßgeblich
die Entstehung und Weiterentwicklung des Jazz. Missionierende
Spiritualsänger und die Nachahmung der weißen (französischen)
Marschkapellen sind die Wurzeln des Archaischen Jazz.
In New Orleans spielen Brass Bands (Blaskapellen) bei Paraden, Konzerten
und Tanzveranstaltungen je nach Bedarf Märsche, Rags, Quadrillen und
andere zeitgemäße Tänze. "Eine Klasse für sich
bildeten die Pianisten. Die besten von ihnen spielten in den vornehmen
Etablissements von Storyville, dem weltberühmten Vergnügungsviertel
der Hafenstadt New Orleans, ... Als Alleinunterhalter verdienten die Pianisten
dort so gut, daß sie für Bands zu teuer waren. Der erste dieser
'Klavierfürsten', der außer Opernarien, Tagesschlagern und Rags
auch Jazznummern spielte und komponierte, war der berühmte 'Jelly
Roll' Morton." Er und seine Zeitgenossen gelten als die erste Generation
von Jazzmusikern. Sie haben den klassischen New Orleans-Stil geschaffen:
weggelöst vom Ragtime hin zu einer 'swingenden' Spielweise, ekstatisch,
ausdrucksvoll und virtuos - eben die Musik der Tanzhallen, Kabaretts, Kneipen
und Bordelle von Storyville. Als New Orleans Jazz wird später
meist der stärker afrikanisch beeinflußte Jazz bezeichnet, wie
ihn die schwarzen Bands jener Zeit spielen; die Musik der weißen
Bands wird in New Orleans zum Dixieland Jazz.
Die Geschichte des Jazz und die Geschichte des Rock'n'Roll werden
in der Literatur meist getrennt beschrieben. Aber erst ihre Verbindung
macht die Entwicklung des Körpergefühls im Amerika des 20. Jahrhunderts
deutlich. Nach einer traditionellen, von europäischen Kulturwurzeln
übernommenen Trennung von Geist und Körper, prägt die musikalische
Entwicklung deren 'Wiedervereinigung'. Denn: "Die Musik des Westens
- Bach, Mozart, Beethoven, war geistig, nicht körperlich. Wenn man
sich von der Musik Mozarts oder Brahms' davontragen ließ, war es
nie der Körper, der davongetragen wurde." [VENTURA]
Quellen / Literaturhinweise:
Berendt, Joachin-Ernst: Die Story des Jazz,
RoRoRo Sachbuch 7121, 1994
Berendt, Joachin-Ernst / Huesmann, Günther: Das Jazzbuch,
Fischer Sachbuch 10515, 1992
Röglin, Claus-D.: Record Hops - Ducktails And Petticoats, Eine
kurze Geschichte des Rock & Roll und seiner großen Hits, Convent-Verlag,
Oldenburg 1993
Sidran, Ben: Black Talk, Wolke Verlag, 1993
Ventura, Michael: Vom Voodoo zum Walkman, W. Pieper's Medienexperimente,
Löhrbach; Der Grüne Zweig 134
Wölfer, Jürgen: Lexikon des Jazz; Heyne Sachbuch 19/255,
1993
"That's Jazz - der Sound des 20. Jahrhunderts", Ausstellungskatalog
der Stadt Darmstadt
Bildquellen:
- |